Key Findings
Der Deutschland-Monitor 2023 kommt auf der Basis der 3 miteinander verbundenen Erhebungen – einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung, einer regionalisierten Vertiefungsstudie in strukturschwachen und -starken Kreisen in Ost- und Westdeutschland sowie Fokusgruppeninterviews – zu folgenden zentralen Untersuchungsbefunden (Key Findings):
Stadt und Land
Im Rahmen des diesjährigen Schwerpunktthemas »Stadt und Land« wird die vertraute Meinung entkräftet, Städte seien an sich bezüglich Infrastruktur und Daseinsvorsorge gut ausgestattet und ländliche Räume unterversorgt. Vielmehr sehen zwei Drittel der Befragten (65 %) ihren Wohnort als einen attraktiven Ort zum Leben an – und dies unabhängig von Ortsgröße, Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur oder der Lage in West- oder Ostdeutschland. Nahezu keiner der Befragten (2%) spricht seinem Wohnort jegliche Anziehungskraft ab. Vor allem zwei Punkte tragen dazu bei, dass Menschen ihren Wohnort als lebenswert ansehen: Das ist zum einen ein wahrgenommener starker zwischenmenschlicher Zusammenhalt vor Ort, der insbesondere auf gegenseitigem Vertrauen beruht. Und zum anderen eine positive Einschätzung des Standorts, die sich an der bisherigen und künftigen Entwicklung des Wohnorts sowie seiner wirtschaftlichen Situation bemisst.
Beurteilung der Attraktivität des Wohnorts
Lokale Lebensqualität
Die allgemein positive Bewertung der Wohnorte in Stadt und Land erklärt sich auch dadurch, dass die individuellen Vorlieben unterschiedlich sind. Einschränkungen des Landlebens beispielsweise bezüglich Mobilität und Freizeitgestaltung, werden durchaus wahrgenommen. Doch solche Standortnachteile werden in der persönlichen Abwägung häufig ausgeglichen durch eine hohe wahrgenommene Lebensqualität, die sich neben anderem durch eine ruhige Wohnlage, Weiträumigkeit und gute nachbarschaftliche Beziehungen auszeichnet.
Größte Stärke für die zukünftige Entwicklung des Wohnorts
- Starke
- Wirtschaftliche
- Vielfalt
- Gemeinschaft
- Vorhanden
- Lage
- Neue
- Gutes
- Leute
- Gute
- Tourismus
- Jugend
- Jungen
- Wirtschaft
- Bevölkerung
- Infrastruktur
- Lebensqualität
- Stadt
- Gemeinde
- Umgebung
- Entwicklung
- Arbeitsplätze
- Nähe
- Unternehmen
- Menschen
- Anbindung
- Zusammenhalt
- Wohnen
- Großstadt
- Natur
- Große
- Firmen
- Miteinander
- Vereinsleben
- Industrie
- Wohnraum
- Integration
Lokale Daseinsvorsorge
Insgesamt zeigen die Monitor-Daten eine hohe Zufriedenheit mit der Verfügbarkeit bzw. Erreichbarkeit in nahezu allen Bereichen der Infrastruktur. Mit den Einkaufsmöglichkeiten, schnellem Internet, Pflegeleistungen, Kinderbetreuung und hausärztlicher Versorgung sind jeweils mindestens 60 Prozent der Befragten zufrieden. Allerdings ist jede(r) fünfte Befragte unzufrieden mit dem Angebot und der Erreichbarkeit der Daseinsvorsorge vor Ort. Überdurchschnittlich häufig kritisiert werden die Erreichbarkeit von Fachärztinnen und Fachärzten sowie im ländlichen Raum der öffentliche Personennahverkehr. Menschen in Kommunen mit guter sozioökonomischer Lage sind im Schnitt mit der öffentlichen Infrastruktur deutlich zufriedener als in Kommunen mit schlechterer ökonomischer Lage. Das zeigt die große Bedeutung der kommunalen Finanzausstattung für die Daseinsvorsorge vor Ort. Erkennbar ist zugleich ein Symptom sozialer Spaltung: Wer sich selbst oder seine Region als benachteiligt wahrnimmt, bewertet auch die Standortgüte des Wohnorts, das heißt dessen Entwicklungsperspektiven und ökonomische Situation schlechter.
Zufriedenheit mit der Verfügbarkeit, bzw. Erreichbarkeit von Infrastruktur am Wohnort (Angaben in %)
Einkaufsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs (Erreichbarkeit)
Pflegeleistungen (Verfügbarkeit)
Kinderbetreuung (Verfügbarkeit)
Hausärzte (Verfügbarkeit)
Schnelles Internet (Verfügbarkeit)
Kultur- und Freizeiteinrichtungen (Erreichbarkeit)
ÖPNV (Verfügbarkeit)
Fachärzte (Erreichbarkeit)
Lokale Herausforderungen
Als stärkste Herausforderungen am Wohnort – in der Stadt mehr als auf dem Land – nennen 60 Prozent der Befragten den Mangel an bezahlbarem Wohnraum und 58 Prozent den Mangel an Fachkräften, gefolgt vom zunehmenden Gegensatz zwischen Arm und Reich (44 %) sowie der Integration von Menschen aus anderen Ländern (37 %). Menschen in ländlichen Regionen, insbesondere in Ostdeutschland und bei regional schlechterer sozioökonomischer Ausgangslage, identifizieren die Abwanderung junger Menschen und den Fachkräftemangel stärker als große Herausforderungen für die zukünftige Entwicklung ihrer Region. Gesamtgesellschaftliche Problemlagen haben also große Auswirkungen für die persönliche Einschätzung der Situation vor Ort. Urbane und ländliche Lebenswelten sind verflochten. Spezifische Probleme der Städte (wie der Mangel an bezahlbarem Wohnraum) und der ländlichen Regionen (wie die Landflucht) sollten stärker komplementär betrachtet werden.
Herausforderungen am Wohnort (Angaben in %)
Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums
Mangel an Fachkräften
Zunehmender Gegensatz zwischen Arm und Reich
Integration von Menschen aus anderen Ländern
Verschuldung des Wohnorts
Abwanderung von jungen Menschen
Demokratieidee
Hinsichtlich der politischen und gesellschaftlichen Einstellungen und Stimmungslagen zeigt der Deutschland-Monitor 2023 ein gemischtes Bild: Die grundsätzliche Unterstützung der Demokratie liegt deutschlandweit mit 97 Prozent auf einem sehr hohen Niveau. Hierbei ist der Ost-West-Unterschied ausgesprochen gering. Nur ein marginaler Anteil (2 %) äußert grundsätzliche Gegnerschaft zur Demokratie.
Zustimmung zur Idee der Demokratie
Westdeutschland
Ostdeutschland
Gesamt-Deutschland
Demokratiepraxis
Gleichzeitig ist ein bedeutender Anteil der Bevölkerung unzufrieden mit der Praxis der Demokratie im Land. Hier ergibt sich bei den Antworten ost- und westdeutscher Befragter ein gegensätzliches Bild: Während Westdeutsche mit dem Funktionieren der Demokratie mehrheitlich sehr oder eher zufrieden sind (59 %), äußern Ostdeutsche mehrheitlich Unzufriedenheit (56 %).
Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland
Westdeutschland
Ostdeutschland
Gesamt-Deutschland
Grundgesetz und Verfassungsordnung
Zwischen der Zustimmung zur Idee der Demokratie und der Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie liegt der Anteil der Verfassungszufriedenheit. Etwa ein Fünftel (22 %) der Befragten ist unzufrieden mit der Verfassungsordnung des Grundgesetzes in Deutschland. Darunter sind wiederum etwas mehr Ostdeutsche (33 %) als Westdeutsche (21 %).
Zufriedenheit mit der Verfassung
Westdeutschland
Ostdeutschland
Gesamt-Deutschland
Politikverdrossenheit
Die distanzierte Grundhaltung gegenüber der Politik spiegelt sich auch in einem niedrigen Vertrauen in die Bundesregierung, in einer niedrigen Einschätzung der Orientierung der Politik an ihrer Bevölkerung (Responsivität) sowie in den populistischen Einstellungen wider. 38 Prozent der Befragten vertrauen der Bundesregierung eher oder uneingeschränkt. Lediglich 14 Prozent sind der Auffassung, dass Politikerinnen und Politiker sich um einen engen Kontakt zur Bevölkerung bemühen. Populistisch eingestellt ist knapp ein Viertel (24 %) der Befragten. Gut drei Viertel, also die überwiegende Mehrheit, sind dies indes nicht. In Ostdeutschland liegt der Anteil knapp 10 Prozentpunkte höher (32 %) als in Westdeutschland (23 %).
Vertrauen in ausgewählte Institutionen der Demokratie
Bundesregierung
Landesregierung
Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister
Bundesverfassungsgericht
Demokratieskepsis in Ost und West
Demokratiekritische Ausprägungen der politischen Kultur treten sämtlich in Ostdeutschland stärker auf als in Westdeutschland. Diese Ost-West-Unterschiede erklären sich auch dadurch, dass Ostdeutsche verstärkt das Gefühl haben, nicht den gerechten gesellschaftlichen Anteil zu bekommen. Auch befürchten viele von ihnen, durch die gesellschaftliche Entwicklung auf die Verliererseite des Lebens zu geraten.
Populistische Einstellungen in Ost- und Westdeutschland (Angaben in Prozent)
Ostdeutschland
Westdeutschland
Das "Gefühl des Abgehängtseins"
Damit einhergehend haben in Ostdeutschland mehr Menschen den Eindruck, dass sich die Politik nicht ausreichend für ihre Region interessiere und sich zu wenig für deren wirtschaftliche Entwicklung einsetze. Abgehängt fühlen sich mehr als doppelt so viele Ostdeutsche (19 %) wie Westdeutsche (8 %). Dieses »Gefühl des Abgehängtseins« ist zudem in jenen ostdeutschen und strukturschwachen Kreisen besonders stark verbreitet, die stärker von Überalterung und Abwanderung betroffen sind. Es ist zudem eng mit populistischen Einstellungen verbunden.
Das »Gefühl des Abgehängtseins« nach Problemwahrnehmung der Abwanderung am Wohnort (Mittelwerte)
Wohlfahrtsstaat
Mehr als drei Viertel (78 %) der Ostdeutschen und zwei Drittel (66 %) der Westdeutschen äußern die Erwartung, dass der Staat dafür verantwortlich ist, allgemeine Lebensrisiken abzufedern. Nahezu einmütig sehen die Bürgerinnen und Bürger in beiden Landesteilen den Staat in der Pflicht, im Krankheitsfall die gesundheitliche Versorgung zu sichern. Wie ein Vergleich der Monitor-Daten mit einer früheren Studie zeigt, ist innerhalb des vergangenen Jahrzehnts in Ost- wie Westdeutschland der Ruf nach staatlicher Regulierung für nahezu alle abgefragten wirtschaftlichen Herausforderungen und sozialen Risiken lauter geworden. Das betrifft die Versorgung im Alter, die Einkommenssicherung im Notfall, die Bereitstellung von angemessenem und preiswertem Wohnraum, ebenso die Förderung industriellen Wachstums und den Abbau von Einkommensunterschieden, ferner Lohn- und Preiskontrollen sowie eine Arbeitsplatzgarantie »für jeden, der arbeiten will«. Ost-West-Unterschiede bestehen bei der Nachfrage dieser Staatshilfen weiterhin, haben sich aber leicht abgeschwächt.
Wohlfahrtsstaatliche Erwartungen im Zeitvergleich 2014 und 2023 (Angaben in Prozent)
Lokaler Wohlstand und politische Einstellungen
Wie wirken sich die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen und Landkreisen auf die gesellschaftspolitischen Einstellungen der Menschen vor Ort aus? Die regionalisierte Vertiefungsbefragung in Kreisen mit höherer und geringerer Prosperität zeigt, dass Lebensqualität, Standortgüte und der soziale Zusammenhalt am Wohnort in prosperierenden Kreisen besser bewertet werden als in strukturschwachen Regionen. Das gilt sowohl in Ost- als auch Westdeutschland. Die vor Ort gegebenen Struktur- und Lebensbedingungen beeinflussen sowohl, wie die Menschen ihre Lebensqualität bewerten, also auch ihre gesellschaftspolitischen Einstellungen.
Skala Sozialitätsindex nach Thünen-Ländlichkeitsindex
Skala Sozialitätsindex nach ILTIS-Indikator
Lokale Lebensqualität und politische Einstellungen
Zwischen der persönlichen Einschätzung der Bedingungen am Wohnort einerseits und politischen Einstellungen andererseits bestehen deutliche Zusammenhänge. Regionale Kontexte sind, sofern sie zur Lebenszufriedenheit beitragen, eine wichtige Stütze für die allgemeine Legitimität des politisch-administrativen Systems. Folglich sind sie auch eine Schlüsselgröße für die Stabilität der Demokratie. Wer die Lebensqualität, die Standortgüte und die sozialen Kontakte am Wohnort schätzt, hat auch vom Funktionieren der Demokratie und von der Vertrauenswürdigkeit staatlicher Einrichtungen eine gute Meinung und andersherum.
Das »Gefühl des Abgehängtseins« nach Demokratiezufriedenheit (Mittelwerte)
Individuelle Einflüsse politischer Einstellungen
Neben den Kontexteffekten zeigt sich erwartungsgemäß ein starker Einfluss individueller Faktoren auf politische und gesellschaftliche Einstellungen. Zu diesen Faktoren gehören neben dem Bildungsstand insbesondere die wahrgenommene eigene wirtschaftliche Situation sowie empfundene Benachteiligungen, Sorgen und Ängste. Das Vertrauen in die Politik ist geringer, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihnen der gerechte gesellschaftliche Anteil vorenthalten bleibt oder ihr gesellschaftlicher Status bedroht ist. Diese Gruppe neigt auch eher zu populistischen und systemkritischen Einstellungen.
Institutionenvertrauen nach Einschätzung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands (Mittelwerte)
Regionale Schlussfolgerungen
Dass die persönlichen Bewertungen des Wohnorts und politische Einstellungen eng miteinander zusammenhängen, ist ein für die Politik in Bund, Land und Kommunen bedenkenswerter Untersuchungsbefund. Um die demokratische politische Kultur in Deutschland krisenfester zu machen, böte sich konkret an, intensiver als das bisher schon geschieht, die Standortbedingungen von strukturschwachen Wohnorten und ihrer näheren Umgebung gezielt zu verbessern. Regionale Strukturpolitik sollte verstärkt weniger prosperierende Regionen adressieren, also dort, wo das »Gefühl des Abgehängtseins« und populistische Einstellungen am meisten verbreitet sind. Sie sollte insbesondere Anreize setzen für den Verbleib bzw. die Gewinnung junger Menschen. Dafür könnte auch auf die vorhandene soziale Ressource einer weitverbreiteten Ortsverbundenheit und eines überwiegend positiv empfundenen sozialen Zusammenhalts zurückgegriffen werden.