Wie tickt Deutschland – im Osten, im Westen und insgesamt?
Gegenstand des Deutschland-Monitors ist eine jährlich wiederholte, regional differenzierte und konsekutiv im zeitlichen Längsschnitt vergleichend angelegte Untersuchung, mit der die Beständigkeit und die Veränderungen von politischen und gesellschaftlichen Stimmungslagen und Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger in Ost- und Westdeutschland empirisch erhoben und wissenschaftlich analysiert werden. Ausgangspunkt und analytischer roter Faden des Projekts ist die folgende Frage: Inwiefern beeinflussen regionale Lebensumfelder (»Kontexte«) die gesellschaftlichen und politischen Einstellungen dort lebender Menschen?
Key Findings
Der Deutschland-Monitor 2024 kommt auf der empirischen Basis einer repräsentativen Befragung der deutschsprachigen Bevölkerung zu folgenden zentralen Untersuchungsbefunden (Key Findings):
Breiter gesellschaftlicher Konsens über die gewünschte Gesellschaft
Für die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland gehören zentrale demokratische Grundrechte und freiheitliche Grundwerte zum Leitbild einer gewünschten Gesellschaft. So finden das Gleichheitsgebot, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Chancengleichheit für alle Menschen sowie das friedliche Zusammenleben der Religionen Zustimmung bei jeweils rund 90 Prozent der Bevölkerung. Auch ein gelebtes soziales Miteinander, die Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit sowie die Anerkennung individueller Leistung werden gegenwärtig von mehr als 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger geschätzt.
In was für einer Gesellschaft wollen Sie leben? In einer, in der … (Angaben in %)
Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen selbstverständlich ist
alle Menschen die gleichen Chancen haben, aus ihrem Leben etwas zu machen
soziales Miteinander gelebt wird
alle Religionen freidlich nebeneinander existieren können
das Gebot sozialer Gerechtigkeit hochgehalten wird
sich Wettbewerb und Leistung lohnen
es keinen politischen Extremismus mehr gibt
Uneinigkeit bei Klima, Migration und europäischer Integration
Uneinigkeit besteht vor allem hinsichtlich der Frage, inwiefern eine klimaneutrale Lebensweise, ein vereintes Europa und eine Gesellschaft, die Zuwanderung als Chance begreift, wünschenswerte Zielvorstellungen sind. Etwa gut die Hälfte der Befragten steht diesen Vorstellungen positiv oder sogar sehr positiv gegenüber, während die anderen Befragten sich ablehnend oder ambivalent äußern. Skepsis und Ablehnung sind in Ostdeutschland weiter verbreitet als in Westdeutschland. Ost-West-Unterschiede zeigen sich bei älteren Personen, die in der ehemaligen DDR bzw. in Westdeutschland geboren und sozialisiert wurden. Hingegen teilen die jüngeren Menschen, die im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen sind, die gleichen Gesellschaftsbilder – in Ost wie West.
In was für einer Gesellschaft wollen Sie leben? In einer, in der … (Angaben in %)
Deutschland Teil eines vereinten Europas ist
wir klimaneutral leben
Zuwanderung als Chance begriffen wird
Freiheitsrechte genießen hohen Rückhalt – Uneinigkeit über Verwirklichung
Freiheitsrechte wie Presse- und Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit und die freie Entscheidung über das Eigentum sind für insgesamt über 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger von hoher Wichtigkeit. Eine Mehrheit von über 50 Prozent der Befragten sieht diese Freiheitsrechte aktuell in Deutschland erfüllt. Allerdings sieht jeweils ca. ein Drittel diese Freiheitsrechte nur als teilweise bzw. gar nicht erfüllt an. Besonders häufig werden Defizite bei der Presse- und Meinungsfreiheit geäußert, überdurchschnittlich oft in Ostdeutschland. Unterschiedlich fällt das Urteil über die Verwirklichung der Freiheitsrechte nach Parteiidentifikation aus. Die mit Abstand negativste Einschätzung äußern Befragte mit einer Neigung zur AfD sowie zum BSW. Eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Erfüllung der Freiheitsrechte ist, dass die Befragten unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was ein spezifisches Freiheitsrecht, z. B. die Meinungsfreiheit, konkret umfassen sollte bzw. wo seine Grenzen liegen.
Wahrgenommene Erfüllung politischer und bürgerlicher Freiheitsrechte (Angaben in %)
Jeder kann für seine Meinung demonstrieren
Jeder kann glauben, woran er möchte
Jeder kann seine Meinung frei äußern
Die Freiheit der Presse ist gewährleistet
Jeder kann frei über sein Eigentum entscheiden
Jeder Arbeitnehmende kann sein Streikrecht wahrnehmen
Anforderungen an den Staat steigen – Westen gleicht sich an den Osten an
Die in Deutschland seit jeher hohen Erwartungen an wohlfahrtsstaatliche Für- und Vorsorge sind im Vergleich zum Vorjahr nochmals angestiegen. Rund drei Viertel aller Befragten äußern eine entsprechende Erwartung. Dabei ist die vormalige Ost-West-Differenz inzwischen ausgeglichen. Je weiter links sich die Befragten auf der Links-Rechts-Achse einordnen, desto stärker wünschen sie einen starken Sozialstaat. Hier passt sich der Westen tendenziell an den Osten an.
Wohlfahrtsstaatliche Erwartungen in West und Ostdeutschland im Vergleich (2024): 'Verantwortung für Lebensrisiken trägt …' (Angaben in Prozent)
Westdeutschland
Ostdeutschland
Negative Bewertung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
Die große Mehrheit ist der Auffassung, dass in Deutschland aktuell kein „Wir-Gefühl“ existiert. Lediglich etwa ein Drittel der Befragten hat Vertrauen in andere Menschen. Nur ein Viertel der Befragten glaubt, dass sich die Mitmenschen gegenseitig unterstützen. Nicht einmal jede bzw. jeder Achte bewertet den gesellschaftlichen Zusammenhalt positiv. Diese negative gesamtgesellschaftliche Bewertung steht im Kontrast zur Einschätzung des gesellschaftlichen Zusammenhalts am Wohnort, der in der Regel sehr positiv bewertet wird. Es gibt also einen großen Unterschied zwischen der Wahrnehmung des direkt erlebten Umfelds und der Beurteilung der Gesellschaft insgesamt. Ein gesamtgesellschaftliches „Wir-Gefühl“ wird von Ostdeutschen im Schnitt seltener als von Westdeutschen bejaht. Zudem gehen mittlere und niedrige Schulbildung, populistische Neigungen, Parteinähe zur AfD sowie dem BSW, das Empfinden sozialer Deprivation sowie eine als schlecht eingeschätzte persönliche wirtschaftliche Situation mit einem unterdurchschnittlich ausgeprägten „Wir-Gefühl“ einher.
Dimensionen eines gesellschaftlichen „Wir-Gefühls“ (Vertrauen, Mitgefühl und Zusammenhalt; Angaben in %)
Ganz allgemein kann man den meisten Menschen vertrauen
Westdeutschland
Ostdeutschland
Gesamt-Deutschland
Die meisten Leute kümmern sich darum, was mit ihren Mitmenschen geschieht (inv.)
Westdeutschland
Ostdeutschland
Gesamt-Deutschland
In unserer Gesellschaft gibt es einen großen Zusammenhalt
Westdeutschland
Ostdeutschland
Gesamt-Deutschland
Uneinigkeit bei Abwägung zwischen Sicherheit, Freiheit und Gleichheit
In der Abwägung zwischen Freiheit und Gleichheit überwiegt in der Bevölkerung die Bevorzugung der Freiheit mit 73 Prozent. Vor die Wahl zwischen Freiheit und Sicherheit gestellt, äußert mehr als die Hälfte eine Präferenz für Sicherheit. Welchem Leitwert dieser Trias der Vorzug gegeben wird, hängt von individuellen Werthaltungen wie auch von biografischen und situativen Erfahrungen ab. Ein höherer Bildungsgrad geht mit einer stärkeren Präferenz für Freiheit gegenüber Gleichheit sowie Freiheit gegenüber Sicherheit einher. Zudem gilt: Je weiter links sich eine Person einordnet, desto stärker spricht sie sich für Gleichheit gegenüber Freiheit und für Freiheit gegenüber Sicherheit aus. Junge Menschen in Ostdeutschland optieren häufiger für die Freiheit als junge Menschen in Westdeutschland.